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 Hippologisches Seminar Mitte

Anlehnungsaufhebendes Longieren

Es gibt eine Vielzahl von Longierformen u.a.
  • Longieren nach FN
  • Voltigierbezogenes Longieren
  • Longieren nach Luis Valenca
  • Longieren mit Philippe Karl
  • Longieren im Round Pen
  • Arbeit mit der Doppellonge
  • „echt pferdegemäßes“ Longieren (Sadko Solinski)
  • „Longen-unabhängiges“ Longieren (Bettina Schürer)
  • anlehnungsaufhebendes Longieren (Marcello Pocai)

Die vielfältigen Formen des Longierens haben gemeinsam, dass mit dem Pferd mittels einer acht bis zehn Meter langen Leine, der Longe, vom Boden auf Distanz gymnastisch gearbeitet wird. Bei allen Unterschieden von Zielsetzung, Ausrüstung, Linienführung und Position des Longenführers gibt es im Wesentlichen zwei Grundformen des Longierens.
Die erste Grundform besteht darin, dass der Longenführer auf der Stelle steht bzw. stehen bleibt, während das Pferd sich kreisförmig um ihn herumbewegt. Die zweite Grundform des Longierens besteht darin, dass der Longenführer sich bewegt und mit dem Pferd mitgeht, während es sich um ihn herumbewegt.
Damit ist der wesentliche Unterschied markiert. Im ersten Fall besetzt der Longenführer den Mittelpunkt der Kreis- oder Zirkelbahn. Im zweiten Fall bewegen sich Pferd und Reiter um einen gemeinsam geteilten Mittelpunkt herum. Daraus folgt, dass im ersten Fall das Pferd sich an einem vorgegebenen Mittelpunkt gehorsam orientieren muss. Im zweiten Fall geht es darum, dass das Pferd den Mittelpunkt allererst finden muss. Im ersten Fall wird das Pferd zentriert, im zweiten zentriert es sich selbst.

Das anlehnungsaufhebende Longieren

Der Longierende geht mit dem Pferd mit, um einen mit dem Pferd gemeinsam geteilten Mittelpunkt herum.
Der Longenführer treibt das Pferd und das Pferd lässt sich treiben.
Die Linien, die er geht, geht das Pferd in gleichbleibendem Abstand auf entsprechend größerem Radius mit. Alle Bahnfiguren, bis Aus-dem-Zirkel-Wechseln, sind möglich.
Krönungsübung: Zirkel verkleinern und vergrößern.
Problematische Übung: Durch-den-Zirkel-Wechseln.
Die Longe hängt idealiter immer leicht durch. Der Longenführer spürt nur die Eigenschwere von Karabiner und Longe, er lässt kein Gewicht seitens des Pferdekopfes zu.
An der Art und Weise, wie und zu welchem Zeitpunkt die Longe verkürzt oder verlängert wird, orientiert sich das Pferd. Ebenso daran, wie viel Longe es bekommt.
Die Position schräg hinter dem Pferd auf Kruppenhöhe ist Dreh- und Angelpunkt jedes Engagements des Longierenden. Er ist bestrebt, während er mit dem sich bewegenden Pferd mitgeht, seine Position beizubehalten. Verliert er seine Position, so geht er meist dem Pferd hinterher.
 Die vier Parameter des Longierens sind:

Rhythmus
Tempo
Richtung
Energie

Treiben:

Je nachdem, in welchem Winkel wir im Mitgehen zum Pferd unsere Position ausrichten, bestimmen wir eine neue Richtung, lassen mehr Energie zu, verringern das Tempo usw.
Grundsätzlich aber geht der Longenführer mit dem Pferd dergestalt mit, dass er dessen Bewegungsrichtung niemals schneidet. Seine Körpermitte (Bauchnabel) ist grundsätzlich nicht auf den Körper des Pferdes gerichtet, sondern zielt an diesem vorbei. Wenn der Körper des Pferdes in den Blick genommen wird, dann immer nur kurzzeitig und immer parallel zur Bewegungsrichtung des Pferdes. So wird das Pferd außen eingerahmt, obwohl mit nur einer, der inneren Longe, longiert wird.

Ziel:

Das Pferd soll aus eigener Körperspannung, die ihren Ursprung auch in der Aktivität der Hinterhand hat, den Widerrist anheben, den Rücken aufwölben, die kurze Muskulatur aktivieren, sich nach und nach verstärkt biegen, ohne dass es dazu einer Anlehnung bedarf. Eine Anlehnung könnte man später gewähren. (Beachte die verschiedenen Formen von Anlehnung.)

Ausrüstung:

Erst Halfter, dann Kappzaum. Nicht am Gebiss. Am besten leichtere Peitsche mit langem Schlag.

Hilfengebung:

Die Longenhand, innere (linksherum die linke, rechtsherum die rechte), zeigt bei waagerecht getragenem Unterarm, Ellbogen am Körper, mit in der Tendenz nach oben gedrehten Fingernägeln dem Pferd den Weg oder die Richtung.
Die Hand öffnet den Weg.
Die Peitschenhand ist grundsätzlich tief, aktiv aus lockerem Handgelenk. Touchierpunkte: über dem inneren Sprunggelenk = mehr Tempo; Fesselkopf = mehr Untertreten; Gurtlage = Rippenbiegung; äußerer Hinterschenkel (Peitschenschlag „abtropfen lassen“) = Ausfallen der äußeren Schulter vermeiden; anhalten = Hinterbeine unter den Körper treiben bei nachgebender Hand. Grundsätzlich geht die Gerten- bzw. Peitschenspitze rhythmisch mit dem vor- und zurückschwingenden inneren Hinterbein mit. Die Peitsche ist immer da, ohne derart zu treiben, dass nur durch ihre Präsenz das Pferd überhaupt geht.
Das Pferd geht von selbst vorwärts, die Peitsche (unser Reiterschenkel) bestimmt, wie. Orientiert sich das Pferd an der sein Hinterbein betreuenden Gerte, so wird es deren Bewegungen versuchen nachzuzeichnen. Die Gerte bleibt ein bisschen länger in der Luft, das Pferd verlängert die Schwebephase des Beines usw.

Ausbildung/Einübung:

Das Longieren ist der dritte Schritt im Rahmen der Ausbildung eines Pferdes zum Reitpferd und kommt vor dem Reiten. Es bringt das Pferd ohne Reitergewicht in die Haltung, in der es sich und den Reiter tragen kann. Dabei soll diese Haltung nicht stur vorgegeben werden, sondern mit dem Pferd zusammen erarbeitet werden. Durch das Longieren wird das Treiben etabliert und zum Thema gemacht. Da vom Longenführer eine Position hinter dem Pferd eingenommen wird, geht es um ein durch das Herdenverhalten inspiriertes Treiben. Das Pferd lässt sich vor uns her um uns herum treiben.

Erster Schritt: Führen. Einübung der verschiedenen Führpositionen, bis das Pferd in der Lage ist, diese Positionen selbsttätig einzuhalten. Positionen: vor dem Pferd, schräg-vor-neben dem Pferd (Nase des Pferdes auf meiner dem Pferd zugewandten Schulter), Ganasche, halber Hals, Schulter, Gurtlage, Flanke, Kruppe, hinter der Kruppe.
Zweiter Schritt: Freiarbeit. Die Energie und die Lust, sich in einem abgegrenzten Bereich zu bewegen, müssen vom Pferd kommen. D. h. wir treiben nicht, sondern beseitigen alle Widerstände, die das Pferd davon abhalten könnten, sich selbsttätig zu bewegen. Dann bestimmen wir die Richtung, dann die Gangart, dann das Tempo.
Natürlich verfährt man nicht schematisch, sondern auf das einzelne Pferd oder auf das Longierender-Pferd-Paar bezogen. Manche Positionen kann man bei manchen Pferden auslassen usw.

Alternativen:

Nach dem Einüben der ersten Führposition („Spuren“; vgl. dazu den Text zur Bodenarbeit) wird hier der Abstand vergrößert, bis er dem Abstand der Longierposition entspricht. Wir wechseln bei gleichem Abstand zum Pferd in die Longierposition.

Anmerkung:

Der zentrale Begriff jeder Arbeit mit dem Pferd ist der Rhythmus des Tieres. An ihn kommen wir  u. a. durch Tempoveränderungen, durch Handwechsel, durch Gangartenwechsel und die Übergänge zwischen den Gangarten, durch Verlangsamung der Bewegung, oder anders gesagt, durch die Verlängerung der federnden Stützbeinphasen. Allerdings geht es nicht um eine künstlich zu erzeugende Verlangsamung, sondern um das Erarbeiten des dem Pferd eigenen Rhythmus.
Letztlich läuft alles (auf Seiten des Longenführers) darauf hinaus, ob dessen Reitertakt den Unterschied zwischen Takt und Rhythmus machen kann.